Er schneidet in ein Stück Natur
Herbert Köhler über Kazuo Katase (*)
Als Detlef Bluemler 1992 eine erste lexikalische Bilanz über
den japanischen Künstler Kazuo Katase zog, war abzusehen, dass dessen
Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen sein kann(1).
Zehn Jahre später soll mit dieser Folgeausgabe der neueste Stand der
Arbeit des Allrounders im Niemandsland zwischen
Gelb und Weiss skizziert werden. Das bisher Geschehene spielt sich
ab im weiten Kreativitätsfeld von Skizze und Plan, Pastell und Fotografie
bis zu Plastik, Environment, Rauminstallation und Lichteinsatz. Hinzu kommt
nun die Vertiefung im Szenischen: Bühnenbild und Platzinszenierung.
Vor dem künstlerischen Hintergrund der 1954 von Jiro Yoshihara gegründeten,
weltweit einmaligen Aktionsgruppe Gutai,
aber auch der Monoha-Bewegung der 70er Jahre,
konnte Katase lernen, dass gestalterisch inzwischen alles erlaubt
ist(2). Doch Katase entdeckt die zum
traditionellen Minimalismus tendierenden Elementar-Geometrien, Licht und Schatten,
Komplementaritäten im allgemeinen. Raum ist für ihn keine durch
Dinge verstellte Leere, die perspektivisch als tote
Geräumigkeit beobachtbar bleibt. Raum ist das elementare Intergrationsmoment
aller Subjekte, erzählt vom Seinsgrund der Gesamtnatur auf dem Globus,
ist ein System der Spannungsverhältnisse, die in der Paradoxie völliger
Ruhe wirken können.
Rechteck und Kubus, Kreis, Ring und Kugel, Linie, Stab und Zylinder sind dafür
die Basisformen; Blau, Rot und Gelb sind die Hauptfarben, Weiss und Schwarz
die Nichtfarben; Monochromie ist ein Ensemblestil. Übersicht ist immer
gleichzeitig auch Innensicht.
Der 1947 im japanischen Shizuoka geborene Katase lebt und arbeitet seit 1976
in Kassel. Was er in den Westen mitgebracht hatte, war die durch die moderne
japanische Philosophie (in der Hauptsache vertreten durch Kitarô Nishida)
aufgeklärte Tradition des Zen. Nishidas
(1870 - 1945) Philosophie der reinen Erfahrung(3)
erwuchs aus der kulturellen Öffnung Japans in Richtung Westen seit dem
Jahr 1868. Zen ist von seiner Natur her nie weltphilosophie-tauglich gewesen,
wollte es vor allem auch nie sein, da er das erklärende Wort von Grund
herauf ablehnt; das innere Erleben, Bild und Gestus sind ihm wichtiger.
Zunächst im pragmatisch behaviouristischen Denken der englischen Philosophen,
dann in der Metaphysik des Deutschen Idealismus' und den sich daraus ergebenden
romantischen Psychologismen erkannten japanische Denker Elemente des sinnvollen
Brückenschlags von Ost nach West(4).
Sinn dieser kulturellen Öffnung war die Aufhebung der weltpolitischen
Isolation Japans.
Kazuo Katase trägt diese kognitiv-kulturelle Hintergrundstrahlung des
modernen Japan in sich. Technologie und technischer Fortschritt, Philosophie
und reflexiver Konsens, Zen und buddhistische Tradition sind keine Gegensätze,
keine Polaritäten, sie können jedoch dialektisch verstanden und
in Text verwandelt werden. Die Grenze des Benennbaren ist hier jedoch schnell
erreicht. Viel fruchtbarer als westliches Denkwerkzeug erweist sich im Umgang
mit der Fusion Ost-West der Begriff der Paradoxie. Sie ist erste Grundlage
des östlichen Denkens auf der deskriptiven Ebene, und obwohl es nur ein
Annäherungswort an das Eigentliche ist, wird durch diesen Begriff eines
deutlich: Der Sinn des Seins ist rational, also textual nicht fassbar und
muss im Bild klarwerden. Jede Philosophie,
aber auch jede Schrift-Religion ist so zum Scheitern verurteilt. Der Sinn
des Seins (die an das Vorhandensein eines Bewusstseins gebundene und daher
menschliche Urfrage) kann nur im Satori -
diesem mit Erleuchtung noch am besten übersetzten
Ziel des Zen - erfasst werden. Einstieg in den Weg zum
Satori aber ist die Lösung eines Rätsels,
das sich in einer Frage, dem Koan, zunächst als Paradox offenbart(5).
Allein die berühmte Frage des bedeutendsten Zen-Meisters, Haku-in, was
man denn höre, wenn man nur mit einer Hand klatschte,
verdeutlicht, in welches Denkchaos der Schüler gestürzt werden kann.
Die erleuchtende Schau der Dinge findet also stets im Bilde statt(6).
Der Weg zur Frage
Der Weg im Zen heisst: Koan-Chaos-Satori.
Diesen Weg beschreitet Kazuo Katase in seinen
Arbeiten stets aufs Neue. Das materielle Destillat seiner Konzepte zeigt sich
minimalistisch, geometrisch auf Grundelemente beschränkt auf hohem ästhetischen
Niveau, der vorläufige Niederschlag des Satori
- aus den japanischen Steingarten-Ensembles, Wohninterieurs und Teehäusern
bekannt. Dort spielen sich die rituellen Vorgänge ab, die im Gestisch-Szenischen
auch für jede andere Situation erweiterbar sind.
So entwirft Katase 1998 die künstlerische Gestaltung für das Klinikums
der Stadt Ludwigshafen am Rhein, ein schmuckloser Funktionsbau, in dessen
Inneren über Leben und Tod entschieden,
also die Seinsfrage jeden Tag neu gestellt wird. Der auratisch
pathologischen Ontologie eines Krankenhauses begegnet Katase mit seinem
Werktitel Ring des Seyns. Schon das Ypsilon
könnte deutlich machen, dass es sich um das humanistisch begründete
Sein handelt, wie es seit Hegel bis zur Dudenschen
Rechtschreibkanonisierung diskutiert wurde. Die Eingrenzung ist nicht unbedacht,
denn in der Zeit danach bäumen sich ontologische Fragestellungen nur
noch bis zum frühen Martin Heidegger auf, zerrinnen im französischen
Existentialismus und kapitulieren nach den Katastrophen von Hiroshima und
Nagasaki im Osten. Metaphysik, Ontologie und Humanismus können keine
plausible Seinserklärung mehr garantieren, sie sind historisch geworden.
So ist Katases Ring des Seyns also weit mehr
als eine künstlerisch-ästhetische Applikation. Der Künstler
entwirft eine Denkinstallation, im Westen Konzept
genannt, die überall auf der Welt verstanden werden kann: Paradoxien
sind auf einer nichttextualen Ebene lösbar. Einsichten sind keine rational-kausalen
Denkgebäude, sondern Augenblicke der Erleuchtung. Abseits jedes Mystizismus',
fern von synthetischen Religionen, markieren sie den konzentrierten Punkt
äusserster Klarheit.
»Am äusseren Ende des langgezogenen Gebäudetraktes, dort, wo sich zwei Strassen kreuzen, befindet sich der Ring des Seyns, eine vierteilige, sich aus einfachen Grundelementen zusammensetzende Installation. [ ] Auf dem Dach liegt ein 30 Meter langer schwarzer Stab, der über ein grün patiniertes, röhrenartiges Element als Auflager geführt wird, so dass eine Schräge entsteht. Am äusseren Ende des Stabes, vor der Stirnwand des Gebäudes, ist ein roter Ring mit einem Durchmesser von 10 Metern angebracht, der vor dem Gebäude zu schweben scheint. Während diese drei Elemente in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Architektur stehen, erhebt sich vor der Glasfassade, als vierter Bestandteil der Installation, ein 26 Meter hoher, leicht schräggestellter, bräunlich oxidierter Stab aus Cortenstahl. [ ] Dem Ring im Aussenbereich korrespondiert darüber hinaus ein weiterer Ring im Inneren des Gebäudes - in Form eines blauen Neonrings in der gläsernen Treppenhauskuppel des Klinikums.«(7)
Zyklen
Der Ring des Seyns übernimmt
die Wache über den Zyklus von Tag und Nacht, verwendet Tageslicht und
künstliches Licht, Natur und Technik, um mit einer 24-Stunden-Erinnerung
Kommen und Gehen zu installieren. Die Schauspieler in dieser fundamental-ontologischen
Szenerie sind die Kranken und ihre Helfer. Beide treten gleichermaßen
als dem Sein Ausgelieferte auf. Katases Ring
erinnert im Außen wie im Innen an die ewige Wiederkehr an einem exponierten,
gesellschaftlichen Ort.
Dem realen Schauspiel eines Krankenhauses
steht das kulturelle Theater entgegen, in dem Dramatisches, Drolliges wie
Tragisches, aus dichterischen Vorlagen erwächst.
Katases schweigender Beitrag zum westlichen Worttheater wird im Bühnenbild
zu Die Legende vom armen Heinrich von Tankred
Dorst 1997 zum ersten Mal realisiert und verleiht dem szenischen Geschehen
auf der Bühne einen Hauch von No und
Kabuki ohne es in Wirklichkeit sein zu können.
Die verschiedenen Bilder verwenden die bekannten Geometrien: Kugel und Zylinder,
die Kombination von verzerrtem Kubus und Prisma im schrägen
Haus, spezielles Licht als Raumgestalter.
Minimalisierter fällt das 2000 realisierte Bühnenbild zu Die
Bluthochzeit von Federico Garcia Lorca aus. Die Bühne wird dreiteilig
- fast triptychonal - aufgefasst: mittiges Hauptblatt und prospektartige Raumteiler
werden durch Licht monochrom gestaltet. Die Varianten des Meeres- und Himmelblaus,
Fensterschatten und Mondprojektion im Hauptblatt sowie die Choreografie zweier
Stühle können bespielt werden.
Öffentlich bespielt werden kann ab 2001/03 auch die Cité Internationale
der Stadt Lyon. Hier entsteht Katases Licht-Schattenraumkörper,
"...ein Körper aus zwei übereinandergeschichteten, unterschiedlichen, leeren Raumkörpern. Der innen liegende, schwarze, schräg stehende Gitternetz-Raumkörper: Schatten und Wind. Der äußere, weiße, gerade stehende Gitternetz-Raumkörper: Sonnenlicht. [ ] Ein Gitternetz- Raumkörper, der bei Tag und bei Nacht erfahrbar ist (in der Nacht durch die Tageslichtstrahler [ ] des Bodenfensters zur Tiefgarage. Dieses Fenster verbindet gleichzeitig die Untererde mit der Obererde."(8)
aus:
Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst,
Ausgabe 56, Heft 33, 4 Quartal 2001,
Verlage Weltkunst und Bruckmann, München. Der Autor ist Kunst- und Kulturpublizist;
er lebt bei München.
(1)Detlef
Bluemler, Im Niemandsland zwischen Gelb und Weiss
in: Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst,
Band 20 (München, 1992).
(2)Zwei
Jahre vor Allan Kaprow hatteGutai bereits
diese Form von Happening entwickelt. Nach
dem Zweiten Weltkrieg war Japan noch immer kulturell isoliert, daher wurde
die Erfindung des Happenings Kaprow zugeschrieben. Ausser Yoshihara gehörten
zu der Gruppe Kazuo Shiraga, Saburo Murakami und Sadamasa Motonaga.
(3)Kitaro
Nishida, Über das Gute. Eine Philosophie der
reinen Erfahrung [Zen no kenkyu, 1911],Übersetzung: Peter Pörtner
(Frankfurt am Main, 2001); An Inquiry into the Good,
Übersetzung Masao Abe und Christopher Ives (New Haven, 1990).
(4)Insbesondere
das epochemachende systematische Programm
(geschrieben ca. 1800) der Tübinger Idealisten Hegel, Fichte, Schelling
und Hölderlin wurde als einer der Impulse des Westens angesehen, der
fähig war aufgesogen zu werden um der spriessenden japanischen Philosophie
eine global anerkannte Position zuzuerkennen.
(5)Eine
vorsichtige und ungefähre Übersetzung des Ausdruckes koan
würde einen paradoxen und offensichtlich vollkommen sinnlosenAusdruck
ergeben - eine Aufgabe in Form einer Frage.
(6)Das
traditionelle japanische Theater in Form von No und Kabuki basieren auf Stille,
nicht auf Wörtern. Kunst und Leben werden mit möglichst wenig Gesten
ausgedrückt. Für traditionsbewusste Japaner ist dies untrennbar
vereint.
(7)Richard
W. Gassen, Vom Geist des Ortes. Der Ring des Seyns
in Ludwigshafen und weitere Installationen im öffentlichen Raum
in: Kazuo Katase, Umsicht [Ausstellungs Katalog],
Wilhelm Hack Museum, Ludwigshafen am Rhein, Deutschland, 1999, Seite 10.
(8)Kazuo
Katase, 2001, in einem Abriß über seine geplante Arbeit zur Cité
Internationale in Lyon.